Der Faden nach oben
Eine Spinne liess sich an ihrem Faden von einem Mauervorsprung herab bis zu der Stelle, die für die Errichtung eines grossen Spinnennetzes geeignet schien. Dort baute sie also ihr Spinnennetz auf. Der Erfolg blieb nicht aus. Immer wieder verfing sich in ihrem Netz reiche Beute. Die Spinne genoss ihr Spinnendasein. Und immer wieder besserte sie ihr Netz aus, es wurde immer grösser, und grösser.
So lebte sie lange Zeit im Wohlstand, wie es für eine Spinne nicht besser sein könnte. Längst hatte sie vergessen, wo sie herkam. Ab und zu betrachtete sie den Faden, der nach oben ging. Wozu sollte der nützlich sein? Eigentlich schien dieser Faden ganz überflüssig. An diesem Faden blieb nie eine Beute hängen. Nun ja, der Faden störte auch nicht weiter. Und immer wieder kümmerte sie sich um die andern Fäden, wenn sie sich ihr Netz ausbesserte. Ab und zu schaute sie sich wieder den Faden an, der nach oben führte und sich irgendwo in der Höhe verlor. Er ist doch wirklich überflüssig, sagte sie sich. Und schliesslich biss sie ihn durch. Da stürzte das ganze Netz zu Boden und sie ist im eigenen Netz erstickt. Der sichere Halt nach oben war weg.
Das Gleichnis von der Spinne kann uns Menschen sagen, dass am Faden nach oben alles hängt.
Schenken wir diesem Faden die gebührende Beachtung?
Lassen wir ihm die nötige Pflege zukommen?
Oder sind wir zufrieden, wenn das Netz des irdischen Lebens gut funktioniert, wenn wir uns da behaglich einrichten können?
Mir scheint allerdings, dass beide Blicke wichtig sind. der Blick nach oben und der Blick auf das Netz hier unten. So erlebe ich mich nicht als auf mich alleine gestellt in einer Umwelt, die sich immer schneller verändert. Ich darf mich auch als Teil einer Gemeinschaft definieren mit Geschichten, Werten und Traditionen, die ich nicht alle selber erfinden muss.
Ich finde mich also in einem regelrechten Netz wieder, und das Leben spinnt uns immer tiefer ein. An diesem Weltennetz mit zu bauen, damit es seinen Zweck erfüllt, und wahrzunehmen, dass kein Faden unabhängig ist, dass alle Fäden zusammenlaufen, dass alles letztlich an einem Faden hängt. - Wie staunenswert!
November 2009 (Für sie gefunden von Sr. Marie-Josèphe)